Über die Entschlüsselung des menschlichen Genoms

Was man wissen sollte, wenn man sich mit der angeblichen Entschlüsselung des menschlichen Genoms beschäftigt und deren mögliche Auswirkungen auf unser persönliches Leben und die menschliche Gesellschaft, kann man bequem in einer halben Stunde bei google herausfinden.

Vorausgesetzt, ich habe wirkliches Interesse an der Sache, bin mit einer gehörigen Portion Wissenschaftsskepsis ausgestattet, also nicht mediengerecht leichtgläubig, komme ich sehr schnell zu einem relativ klaren Bild. Dabei ist es natürlich von Vorteil, wenn Molekulargenetik einer meiner Schwerpunkte im Fach Biologie bei der Abiturprüfung war und ich mich seitdem, obgleich ich beruflich damit nichts zu tun habe, weiterhin autodidaktisch mit der Entwicklung des Fachs beschäftigt habe. Das ist von Vorteil, aber zwingend notwendig ist es nicht.

Da erfährt man dann, daß alle Jahre wieder behauptet wird, das menschliche Genom sei entschlüsselt, zu 99 Prozent jedenfalls. Dabei geht es selbstverständlich nicht um unsere individuellen Erbanlagen, sondern die genetischen Informationen, die alle Menschen gemeinsam haben.

Aber selbst wenn es so wäre, selbst wenn die 100 Prozent voll wären, was hieße das wirklich? Es hieße nichts weiter, als daß ein gerade lesefähig Gewordener ein Buch mit drei Milliarden Buchstaben vorliegen hat, geschrieben in einer ihm unbekannten Sprache, von der er nichts als die Buchstaben kennt.

Das wäre allerdings eine etwas zu optimistische Beschreibung der tatsächlichen Situation, denn inzwischen gibt es neue Forschungen in den USA, bei denen festgestellt wurde, daß die bisher von den Wissenschaftlern außer acht gelassenen und als »Junk-DNA« bezeichneten 97 Prozent der DNA-Sequenzen mit den anderen drei Prozent auf bisher nicht geklärte Art und Weise interagieren, das heißt, es gibt Beispiele dafür, daß bei fast allen »entschlüsselten« Genen unerklärliche bzw. bisher nicht geklärte Zusammenhänge mit nichtentschlüsselten DNA-Sequenzen festgestellt wurden. Wer’s nicht glaubt, der kann das in der renommierten »PNAS« der US-amerikanischen Akademie der Wissenschaften nachlesen. Tenor: »Short blocks from the noncoding parts of the human genome have instances within nearly all known genes and relate to biological processes.« Niemand pinkelt sich selbst ans Bein, wenn er nicht unbedingt muß.

Die Mär von der »Junk-DNA«, mit der man sich nicht zu beschäftigen brauche, weil es sich um Datenmüll handle, ist damit, wie zu erwarten, eindeutig als Mär enttarnt.

Und nun weiß man, wenn man wieder mal hört, HUGO habe das menschliche Genom endgültig entschlüsselt, was man davon zu halten hat.

Wie will man auch ein Genom entschlüsseln, ohne wirklich zu wissen, was ein Genom ist? Es ist ähnlich wie mit der Gravitation. Alle reden davon, und wir wissen viel darüber, wie sie wirkt, sie läßt sich quantenfeldtheoretisch beschreiben (wenn auch nur unter Einbeziehung bisher nicht nachgewiesener hypothetischer Teilchen), aber was Gravitation tatsächlich ist, weiß niemand. Genausowenig weiß irgendein Biologe, was Leben ist. Von Entschlüsselung ist hier wie dort ständig die Rede, aber man schaut in Wirklichkeit tatsächlich bestenfalls durchs Schlüsselloch. Und das vielleicht auch nur, weil man den Schlüssel aus dem Loch genommen hat.