Überschriften und Stereotype

Da in Überschriften die meisten Stereotype enthalten sind, neigen wir dazu, den folgenden Text, wenn überhaupt, nur noch dann, und zwar mit wohlwollend-offener Haltung, zu lesen, wenn die Stereotype mit unseren eigenen übereinstimmen. 

Wenn der ganze Text tatsächlich kritisch-aufmerksam gelesen wird, dann vor allem in der Hoffnung, einen Ansatzpunkt zu finden, um den unseren diametrale Stereotype falsifizieren zu können.

Wenn Frauen in der Nähe sind, reden Männer gleich weniger, und wenn keine Männer in der Nähe sind, reden Frauen gleich viel.

Süddeutsche Zeitung: Eine amerikanische Studie belegt: Männer und Frauen reden gleich viel. 

Wenn man die Studie genauer betrachtet, kann man feststellen, daß es sich ausschließlich um studentische Probanden handelt. Teilnehmer: insgesamt 210 männliche und 186 weibliche Studierende. Alle sind unter 30 und wahrscheinlich die wenigsten verheiratet oder auch nur in festen Bindungen. Was sagt uns das, wenn man ehrlich ist? Nichts Konkretes. Bestenfalls etwas über das Redeverhalten an einer amerikanischen Uni. „Anhand der Aufzeichnungen schätzten die Forscher …“ Mit Wissenschaft hat das Ganze wohl eher weniger zu tun. Ich habe mir angewöhnt, nicht alles ungeprüft zu glauben, was wissenschaftliche Studien angeblich erbringen, dazu hatten wir in den letzten Jahrzehnten zu viele gegensätzliche Ergebnisse. Und was in der Zeitung steht, nun ja … 

Möglich ist vielleicht der Schluß, an einer amerikanischen Hochschule gibt es im studentischen Milieu keine signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschiede im Sprachverhalten. Das sagt aber ganz und gar nichts darüber aus, wie es in einer italienischen Kleinstadt oder in einem deutschen Dorf um das Sprachverhalten der Geschlechter bestellt ist. 

Oder wenn man es zum Beispiel astrologisch betrachtet, dann vermute ich mal ganz ohne Studie, daß Männer viel mehr reden als Frauen, wenn es sich bei den Männern überwiegend um widdergeborene Alkoholkonsumenten und bei den Frauen um mehrheitlich abstinente Steinböcke handelt. Daraus kann man jedoch ebensowenig ableiten, daß Männer mehr reden als Frauen.

Wir neigen zu sehr zu voreiligen Schlüssen, wenn es uns ins Konzept paßt. Und sei es nur, um eine angebliche Neuigkeit zu verkünden.

Vom Flachen und vom Runden

Eine holzschnittartige Karikatur ist breitenwirksamer als jedes  Psychogramm, weil das Publikum sich eine abgeflachte reduzierte Persönlichkeit viel leichter merken kann als eine runde. Deshalb sind Stereotype so beliebt, und die massenmedial betriebene reduktionistische Stereotypisierung ist neben den menschlichen Identifikationsbedürfnissen die Hauptquelle des Starkults.