Scheuklappenwechsel

Wenn man sich vornimmt, ohne Scheuklappen zu denken, merkt man schnell, wie schwierig das ist. Man ist es nicht gewohnt und außerdem eingebunden in die kulturellen und intellektuellen Traditionen der Kultur, in der man das Denken gelernt hat. Schnell rutscht man von einem Ideologem in ein anderes und merkt plötzlich, daß man nur die Scheuklappen gewechselt hat. Vielleicht ist der Versuch, frei zu denken, erst einmal nicht mehr als die Beschleunigung des Scheuklappenwechsels. Zumindest ein Anfang. Am Ende steht dann vielleicht die durchsichtige Scheuklappe, weil es uns nicht gelingt, auf das gewohnte Gefühl dieser Klappe zu verzichten. So wie wir nicht ohne Kleidung in die Öffentlichkeit gehen mögen.

Vom Umgang mit Traditionen

In manche Traditionen hüllen sich die Menschen wie in Gewänder, und die bizarrsten von ihnen haben lange Schleppen.

Wenn nun einer mit solch einem Gewand durch die Gegend stolziert, haben es die Nachfolgenden schwer, nicht auf die hinterhergeschleifte Schleppe zu treten. Tun sie trotz aller Vorsicht dennoch, so kommen sie bisweilen zu Fall, aber häufig steht auch der Träger plötzlich mit einem derangierten Gewand da und sieht aus wie eine elegante Vogelscheuche.

Manche Nachfolgenden aber haben es gerade darauf abgesehen, die Schleppe zu zerreißen, und stürzen sich darauf. Dabei geschieht es manchmal, daß nicht nur die Schleppe zerreißt, sondern das ganze Gewand. Und oft ist nichts darunter als pure Nacktheit. Dann steht der Träger da wie ein gerupftes Huhn.